Ein Touretter in Indien von Hermann Krämer Schon in meiner Schulzeit vertiefte ich mich gerne in meinen Weltatlas und versuchte mir die Umrisse von afrikanischen und asiatischen Ländern zu merken. Die exotisch klingenden Städtenamen ferner Länder faszinierten mich und ich versuchte mir vorzustellen, wie es dort wohl aussehen könnte. Im Alter von 17 Jahren (1974) buchte ich zusammen mit einem Freund meine erste Flugreise, für den Kauf des Flugtickets brauchte ich die Unterschrift meiner Eltern. Sie willigten ein – obwohl es ihnen nicht leicht gefallen ist – und so begann ein aufregender 5-tägiger Aufenthalt in Athen und auf der Halbinsel Peloponnes. In den Abendstunden waren wir oft auf dem zentral gelegenen Syntagmaplatz zu finden, einem Treffpunkt für Einheimische und Touristen aus aller Welt. Hier lernten wir einen jungen Griechen kennen, der uns von seiner Reise nach Indien erzählte und wie sehr ihn dieses Land beeindruckt hatte. Er wollte ein weiteres Mal dort hinfahren, um Hatha-Yoga zu erlernen. Wir trafen ihn täglich an der gleichen Stelle, mit verklärtem Gesicht in der Abendsonne sitzend. Seine Erzählungen machten uns immer neugieriger, wir hingen förmlich an seinen Lippen. Indien hatte mich persönlich schon lange vor diesem Erlebnis begeistert, vor allem interessierte ich mich für die indische Sitar-Musik. Zurückgekehrt nach Deutschland, sah ich einige Monate später im Fernsehen Ausschnitte des berühmten Woodstock-Festivals mit Auftritten des weltbekannten indischen Sitarspielers Ravi Shankar, was meine Begeisterung für diese Musik noch steigerte. In jenen Jahren strebten viele indische Weisheitslehrer in die westlichen Industrieländer und offerierten den religiös orientierungslosen und enttraditionalisierten, hauptsächlich jüngeren Teilen der Bevölkerung, ihre Philosophien für ein sinnerfülltes Leben. Unterstützt wurde diese Entwicklung noch durch die Neigung einiger Popstars, spirituelle Hilfe für ihr Leben bei indischen Gurus zu suchen. Viele Jugendliche öffneten sich damals den geistigen Sichtweisen des Ostens, weil sie in der hypermateriellen Welt des Westens keine Erfüllung mehr fanden. Dieser Umstand löste eine große Reisewelle Richtung Osten aus. Zwischen 1970 und 1980 fuhren zahlreiche Busse von London, aber auch von Deutschland aus über Istanbul, Teheran, Kabul, Peshawar bis nach Neu-Delhi. Mein Wunsch in dieses Land zu fahren wurde immer drängender. Nach dem Ende meiner Ausbildungszeit zum Industriekaufmann in der Schiffswerft Braun in Speyer, arbeitete ich noch drei Monate in der dortigen Motorbootabteilung, um das Geld für meinen ersten Trip nach Indien zusammen zu bekommen. Da mir nur zwei Monate zur Verfügung standen, hätte die Reise über Land zuviel Zeit in Anspruch genommen und so buchte ich ein Flugticket bei SAS (Scandinavian Airlines System), DM 531,-- kostete der einfache Flug nach Neu-Delhi. Meine Zeit in Indien
mit dieser SAS-Maschine fliege ich nach New-Delhi (SAS = Scandinavian Airlines System)
Der Flugkapitän begrüßt uns, wir rollen auf die
Startbahn, das "Abenteuer" kann beginnen. In diesem Moment kommen mir
viele Bilder in den Sinn, meine Eltern und die vielen Freunde, die ich jetzt für
längere Zeit nicht sehen kann. Das Flugzeug startet und hebt ab, nach wenigen
Minuten haben wir den Frankfurter Flugraum verlassen. Während des Flugs lerne
ich John, einen Amerikaner kennen, der Verwandte in Deutschland besucht hat und
nun von hier aus ebenfalls nach Indien möchte, um dieses eindrucksvolle Land
kennenzulernen. Wir unterhalten uns. Später ergibt sich noch ein Gespräch mit
einem jungen Inder, der in Deutschland studiert und seine Eltern in Neu-Delhi
besuchen möchte. Wir wollen so viel wie möglich über Indien erfahren, er ist
sehr freundlich und beantwortet geduldig alle unsere Fragen.
Eingang
Flughafengebäude New-Delhi Airport .
Straßenszene in Old-Delhi . Nachfolgend noch ein paar
Worte zu Krishna, dem gefeierten Helden der indischen Mythologie: "Um diese Gottheit ranken sich
viele Fabeln, Legenden und Geschichten. Im Mahabharata, einem umfangreichen
indischen Heldenepos (106 000 Verse in 18 Büchern), in dem es hauptsächlich um
die Auseinandersetzungen zwischen den Familien der 'bösen Kauravas'
und den 'tugendhaften Pandavas' geht, ist er eine herausragende
Gestalt. In der Bhagavad-Gita, einem Teil der Mahabharata (6. Buch) und eine der
berühmtesten Schriften des Hinduismus, gibt er als "der Göttliche"
Arjuna seine Unterweisungen. Arjuna, einer der fünf Pandava-Brüder und
Beispiel für einen spirituell strebenden Menschen, spricht Krishna darin als höchstes,
universales Bewusstsein an. Die Krishna-Bewegungen in den westlichen Industrieländern
haben ihre Wurzeln ebenfalls in der Verehrung der Aussagen Krishnas in diesen
historischen Texten. Zur Entstehung des Mahabharata sei noch folgendes erwähnt:
"Als Verfasser gilt der mythische Weise Vyasa, doch haben zwischen dem 5.
Jh. vor Christus und dem 2. Jh. nach Christus zweifellos eine große Zahl von
Autoren und "Ordnern" an dem Werk gearbeitet, in das nach und nach der
größte Teil des indischen
Volksgutes an Göttersagen, Fabeln und märchenhaften Erzählungen Aufnahme
fand." Von Delhi aus mache ich einige Sightseeing-Touren. Zuerst fahre ich mit dem Bus (4 Stunden) nach Agra, im 16. und 17. Jahrhundert Hauptstadt des Mogulreiches und weltberühmt für das Taj Mahal, ein in weißem Marmor errichtetes Mausoleum, das von Großmogul Shahjahan 1631-48 für seine jung verstorbene Lieblingsfrau Mumtaz Mahal errichtet wurde, und in dem später auch der Herrscher selbst seine letzte Ruhestätte fand. Das Taj Mahal mit seinem Kuppeldach und seinen vier Minaretten ist einfach überwältigend schön und zählt zu recht zu einem der Weltwunder. Einige Tage später fahre ich wieder mit dem Bus 5 Stunden von Delhi aus in südwestliche Richtung nach Jaipur, der rosaroten ehemaligen Fürstenhauptstadt Rajasthans. Die Häuser in der Altstadt haben alle eine rosarote Farbe, so ist sie als "Pink City" international bekannt geworden.
Jaipur
Jaipur
Ihren Namen, ihre Entstehung
und Planung verdankt die Stadt Maharadscha Jai Singh, der ein begeisterter
Astronom war und Jaipur nach den Sternen ausrichten ließ. Einen unvergesslichen
Anblick bietet mir noch das berühmte Hawa Mahal, das als "Palast der
Winde" bekannt wurde. Dieses Gebäude, erbaut im Jahre 1799, hat 953
Fensternischen auf 5 Etagen. Von hier aus war es den Haremsdamen möglich, die
vorbeiziehenden Festzüge, ungesehen von der Bevölkerung, anzuschauen. Vor meiner Weiterfahrt über
Ajmer nach Puschkar besuche ich noch das 11 Kilometer von Jaipur entfernte
Amber, die alte Hauptstadt Rajasthans. Auf dem Rücken eines Elefanten gelange
ich zu dem auf einer Anhöhe gelegenen Amber Fort, einer traumhaft schönen
Palastanlage, die hinduistische und islamische Bauelemente aus mehreren Epochen
in sich vereinigt. Amber Fort diente über sechs Jahrhunderte als Herrschersitz
der Kachwalas.
Innenhof Amber Fort Hier ein Elefant, der zahlende Gäste in ca. 10-15 Minuten zum Amber Fort bringt. Auf meine Nachfrage wurde mir versichert, dass diese Tiere sehr gut behandelt werden; sie bekommen gutes Futter und ausreichend Wasser, außerdem werden immer wieder Ruhepausen eingelegt.
Eingang Amber Palace . Wie bereits angekündigt, geht
es dann weiter über Ajmer nach Puschkar. An diesen Ort pilgern Hindus zur
Verehrung des Gottes Brahma. In einem heiligen See in der Ortsmitte nehmen die
Gläubigen rituelle Bäder. Puschkar wird - so berichtet mir ein Einheimischer
– auch Mein letzter Kurztrip von Delhi aus führt mich in den Norden nach Mussooree, einer Kleinstadt am Fuße des Himalaja und danach in die Hindupilgerorte Hardwar und Rishikesh am Ganges. Mussooree fällt im Stadtkern optisch besonders durch viele grün angestrichene Häuser auf.
Mussooree
Es ist empfindlich kühl und regnerisch. Auf der Weiterfahrt sehe
ich immer wieder Menschen, die bei diesen niedrigen Temperaturen ohne Schuhe
unterwegs sind. Ein Arzt, der im gleichen Bus unterwegs ist, erklärt mir, dass
viele Bewohner dieser Bergregion kein Geld hätten, Schuhe zu kaufen, auch fehle
vielerorts die Möglichkeit, in der kalten Jahreszeit entsprechend zu heizen,
wie das beispielsweise in Europa üblich ist. Diesen Luxus könnten sich hier
nur die Wohlhabenden erlauben. All diese Umstände führten dazu - so berichtet
er weiter – dass beispielsweise chronische Erkrankungen der Atemwege hier sehr
verbreitet sind. Einige Zeit später dann Ankunft in Rishikesh (Ort der Seher, gilt in Indien als "Hauptstadt des Yoga") am Oberlauf des Ganges, das wegen seiner zahlreichen Ashrams und Yogazentren bekannt geworden ist. Hierher kommen viele Europäer, um Yoga und Meditation zu erlernen oder auch, um sich intensiv mit der hinduistischen Philosophie auseinander zu setzen.
Rishikesh am Oberlauf des Ganges
In westlichen Ländern wurde Rishikesh außerdem durch die Beatles zu einem Begriff, die dort ihren Guru Maharishi Mahesh Yogi besuchten. Ich beschließe, zu den Ufern des Ganges hinunter zu gehen.
Am Wegesrand sitzen einige Sadhus, indische Wandermönche, die auf
jeglichen Besitz verzichten und von dem leben, was Pilger ihnen an Geld oder
Essen geben. Weiter unten liegen links und rechts des Weges Leprakranke auf dem
Boden, die laut schreien, um auf sich aufmerksam zu machen. Sie erbitten Geld für
ihren Lebensunterhalt, denn selbst versorgen können sie sich nicht mehr.
Einigen fehlen nicht nur die Beine, sondern auch zusätzlich noch ein oder beide
Arme. Es ist fürchterlich anzusehen. Ich bin schockiert und verzweifelt,
angesichts so viel menschlichen Elends. An den Ufern des Ganges angekommen,
beobachte ich die indischen Pilgerinnen und Pilger bei ihren rituellen
Handlungen. Sie haben nichts dagegen, dass ich sie dabei beobachte, ja sie
winken mir sogar und lächeln mir zu. Ich bin beeindruckt von der
gelebten Religiosität der Hindus, von der hingebungsvollen Verehrung, die sie
ihren Gottheiten entgegenbringen. Anschließend fahre ich weiter nach Hardwar.
Auch in diesem Pilgerort am Ganges erlebe ich die Zelebrierung hinduistischen
Glaubens mit einer Intensität, die mich nachdenklich macht und zwangsläufig
Sinnfragen für mein eigenes Leben und meine religiösen Überzeugungen
aufwirft. Am späten Abend kehre ich erschöpft nach Delhi zurück. Die ersten zwei Wochen sind
nun fast schon vorbei, und ich bemühe mich um eine Fahrkarte für die geplante
Zugfahrt nach Madras in den Süden des Landes. Es ist Ferienzeit und die Züge
sind nahezu ausgebucht. Über Umwege erfahre ich, dass ein Ticket schon noch zu
haben wäre gegen ein kleines Bakschisch (Gabe) in Form eines Hühnchens und 5
Flaschen Bier. In Gesprächen mit anderen Travellern erfahre ich von einer
Regierungsstelle, die sich um Touristen mit Ticketproblemen kümmert. Ich habe
Glück und erhalte in kurzer Zeit die gewünschte Fahrkarte. Am Abreisetag wache
ich schon ganz früh auf, packe meinen Rucksack und mache noch letzte Einkäufe.
Der Abschied von meinen netten Gastgebern fällt mir schwer, sie haben sich sehr
um mich gekümmert. Trotz mancher Anfangsschwierigkeiten hatte ich eine gute und
interessante Zeit in Delhi. Am späten Nachmittag bringt mich ein Taxi zum
Bahnhof, Abfahrtszeit meines Zuges ist gegen 17.30 Uhr. Mein nächstes Ziel heißt
Madras, die Hauptstadt des Unionsstaates Tamil Nadu an der Südostküste
Indiens. Vor mir liegen ca. 2.200 Kilometer, das bedeutet zweimal im Zug übernachten;
die voraussichtliche Ankunft ist am frühen Abend des dritten Reisetages. Als ich den Zug betrete, ist
er schon ziemlich voll. Ich habe ein Ticket mit "Sleeper", das ist
eine Sitzgelegenheit zusammen mit einer oberhalb der Sitze herunterklappbaren hölzernen
Liege. Ungefähr eine halbe Stunde später als vorgesehen setzt sich der Zug in
Bewegung und rollt ganz gemächlich aus dem Bahnhof hinaus. Mit diesem gemütlichen
Tempo verlassen wir das Stadtgebiet von Delhi. An jeder weiteren Haltestation
steigen viele neue Passagiere ein, in wenigen Stunden ist der Zug total überfüllt.
Die Fahrgäste stehen auf den Gängen und in den Bereichen zwischen den Waggons,
in den Abteilen für 6 Personen drängen sich teilweise bis zu zwölf
Passagiere. Dazu kommt noch die schwüle Hitze. So richtig begeistert bin ich
von den Reisebedingungen nicht. Unter diesen Umständen geht natürlich meine
Ticfrequenz deutlich nach oben, es gibt – außer auf der Zugtoilette - so gut
wie keine Rückzugsmöglichkeiten. Mein Gehirn dirigiert sein wildes Konzert
nach Belieben. So wie es aussieht bin ich auch der einzige westliche Ausländer
im Zug und mit meinen motorischen und vokalen Tics schon eine kleine Attraktion
und ziehe dadurch viele Blicke auf mich, was mir, ehrlich gesagt, gar nicht
recht ist. Manche der Fahrgäste betrachten mich mehrere Minuten lang und
beobachten jede meiner Handlungen. Je länger wir aber gemeinsam unterwegs sind,
umso mehr zeigt sich, wie viele freundliche und zuvorkommende Menschen unter den
Passagieren sind. Auch habe ich es in den zwei Monaten meines Aufenthaltes in
Indien nie erlebt, dass sich die Bevölkerung über meine Tourette-Erkrankung in
irgendeiner Form lustig gemacht oder mich imitiert hätte. Für die Reise hatte ich mir
ausreichend Proviant gekauft, aber es wäre eigentlich nicht nötig gewesen. Auf
den meisten Bahnhöfen sind eine große Zahl von fliegenden Händlern unterwegs.
Selbst mitten in der Nacht werden Essen, Getränke und Früchte angeboten. Es
ist auch nicht nötig den Zug zu verlassen, den Fahrgästen wird das Gewünschte
durch die Zugfenster gereicht. Coffee - Coffee – Chay - Chay – Coffee –
Coffee ruft laut und fordernd ein ungefähr 10 Jahre alter Junge. One Chay
please, sage ich zu ihm (Chay: Schwarztee mit viel Milch und Zucker). Auf
Kinderarbeit treffe ich überall in Indien. Kinder arbeiten oft in Restaurants,
helfen dort beim Abspülen, Wegräumen oder sie bringen bestellte Getränke oder
Essen in umliegende Geschäfte. Viele Jugendliche sind auch in der Nähe von
Sehenswürdigkeiten zu finden, dort bieten sie entweder Führungen an oder
versprechen den Touristen, sie an jeden gewünschten Ort zu bringen. Einerseits
staune ich über die Ernsthaftigkeit und Professionalität, mit der sie ihren
Jobs nachgehen, andererseits tun mir diese Kinder und Jugendlichen leid, die
schon in jungen Jahren gezwungen sind, zur finanziellen Versorgung ihrer
Familien beitragen zu müssen. Je weiter wir in den Süden
des Landes kommen, umso grüner und üppiger wird die Vegetation. Am dritten Tag
gibt es kein Wasser mehr im Zug, die Toiletten sind verstopft. Ich sehne mich
nach einer Dusche und einem richtigen Bett. Nach der Ankunft in Madras und der
Hotelzimmersuche ist erst einmal Ausruhen angesagt. Madras ist ein bedeutender
Hafen an der Ostküste und hat einen internationalen Flughafen.
Metallverarbeitung, Fahrzeugbau, Erdölraffinerie, Elektro-, Textil-, Tabak- und
Nahrungsmittelindustrie und Teppichknüpferei machen diese aufstrebende Stadt zu
einer pulsierenden Metropole. Nach zwei Tagen des Ausspannens und nachdem die
Lebenskräfte wieder zurückgekehrt waren, besuche ich von Madras aus die ca. 70
km entfernt liegende Tempelstadt Kanchipuram. Eine weitere Tagestour führt mich
nach Mahabalipuram, 60 km südlich von Madras, der Wiege der drawidischen
Tempelbaukunst Südindiens. Dieser kleine Ort an der Koromandelküste im Golf
von Bengalen wurde bereits im 7. Jh. als Hafenstadt des Pallavareiches gegründet.
Mein Mittagessen nehme ich an diesem Tag in einem sehr speziellen Restaurant
ein. Bevor die Gäste den Speiseraum betreten dürfen, müssen sie an der Kasse
den Preis für das Tagesgericht – es gibt nur eines – entrichten. Auf den
Tischen des Restaurants liegen mit Wasser gereinigte und in der Mitte
zusammengefaltete Bananenblätter.
Nachdem die Gäste Platz genommen haben, kommen zwei Mitarbeiter des Restaurants
mit zwei Bottichen auf fahrbaren Untersätzen herein und verteilen das Essen.
Einer holt mit einem runden Behältnis aus seinem Bottich Reis heraus, streift,
was zuviel ist blitzschnell am Bottichrand ab und setzt es dann mit Schwung auf
das mittlerweile aufgeklappte Bananenblatt. Der andere komplettiert das Essen
mit scharfem eingelegten Gemüse, welches er mit einem Schöpflöffel neben den
Reis serviert. Besteck gibt es nicht, ich esse so wie alle anderen auch mit den
Händen. Nach dem Ende des Mittagessens fällt kein Geschirr an, die Bananenblätter
werden weggeworfen. Das Essen hat mal wieder ein Feuer in meinem Bauch entzündet.
Ich hoffe, dass ich mich an das scharfe Essen noch gewöhnen werde.
Nachmittags liege ich am
Strand von Mahabalipuram, genieße die herrliche Sonne, schwimme ein wenig und
esse zwei frische Kokosnüsse. Hier an der Ostküste, im Süden, wie auch an der
Westküste Indiens, werden frische Kokosnüsse angeboten, die mehr als doppelt
so groß sind wie die, die ich von zu Hause kenne und eine grünliche Farbe
haben. Mit einem großen Messer und ein paar gezielten Schlägen wird der obere
Teil entfernt, mit der Messerspitze brechen die geübten Händler dann ein fünfmarkstückgroßes
Teil heraus, zum Trinken der Kokosmilch wird ein Strohhalm gereicht. Die frische
Kokosmilch schmeckt vorzüglich und soll dem Magen gut tun. Wenn sie
ausgetrunken ist, wird die Kokosnuss mit ein paar weiteren kräftigen Schlägen
mit dem Messer halbiert, das weiche Kokosfleisch herausgelöst und in einer der
beiden Nusshälften serviert. Eine Kokosnuss kostet 2 oder 3 Rupien (Währungsverhältnis
1976: 3,5 Rupien zu einer Mark) und macht – als Zwischenmahlzeit - für Waschtag in Madras . Vor meiner Abreise aus Madras
suche ich wegen meiner Kopfverletzung nochmal einen Arzt auf. Die Fäden werden
entfernt, die Wunde ist gut verheilt. Mein nächstes Reiseziel ist das in südwestlicher
Richtung liegende Madurai. Hier besichtige ich den etwa im Jahre 1650 im Zentrum
der Stadt erbauten Meenakshi-Tempel, die größte hinduistische Tempelanlage
Indiens. Einen monumentalen Eindruck machen die fünf großen Tortürme, der höchste
ist 55 m hoch und mit 1055 einzelnen Götterfiguren und Fabelwesen geschmückt.
Hier sind, wie auch in vielen anderen Tempeln der Hindus, freilebende Affen
anzutreffen, die in Herden von bis zu 30 und 40 Tieren zusammenleben und nicht
nur geduldet, sondern – und dies ist
wieder aus der hinduistischen Mythologie heraus zu erklären – als heilig
verehrt werden. Die Verehrung dieser Tiere erklärt sich aus dem Ramayana, einem
weiteren großen Heldenepos Indiens, das mit 24.000 Doppelversen in sieben Büchern
jedoch nicht so groß ist wie das bereits erwähnte Mahabharata. Hier nun kurzgefasst der
Inhalt des Ramayana: "Sita, die Gemahlin des indischen Prinzen und späteren
Königs Rama, wird von dem zehnköpfigen Dämonenkönig Ravana auf die Insel
Lanka entführt und mit Hilfe Hanumans (auch Hanumat), des göttlichen Anführers
des Affenheeres, befreit." Hanuman, der Herr der Affen, gilt als Sinnbild für
Treue. Die in Indien verehrte Affenart heißt Hanumanlangur: "Hanumanlangur, Art der
Schlankaffen; großer, langschwänziger Baumaffe, mit 15 Unterarten über den
ganzen indischen Subkontinent verbreitet; Blattfresser mit entsprechend
angepasstem Magen. Im Hinduismus ein als heilig verehrter Affe, der große
Popularität genießt und als Wohltäter erscheint." Die abenteuerlichen
Begebenheiten, die das Ramayana ausführlich und dramatisch beschreibt, sowie
die große Zahl herausragender Charaktere, die darin auftreten, wirken bis heute
in den indischen Alltag hinein. Rama und Sita werden von den Hindus als Ideal
des Mannes und der Frau verehrt. Als Verfasser des Ramayana gilt Valmiki, der
erste namentlich bekannte Kunstdichter der indischen Literatur. Doch er hat
dieses große Epos nicht alleine geschrieben, einige andere Autoren waren – so
wird berichtet – an der Ausarbeitung ebenfalls noch beteiligt. Mein nächstes Reiseziel ist
Trivandrum an der Malabarküste, die Hauptstadt des Unionsstaates Kerala, südwestlich
von Madurai gelegen. Im Zug dorthin lerne ich den Niederländer Jan kennen, wir
verstehen uns auf Anhieb gut und sprechen viel über unsere Reiseerlebnisse in
Indien. Spätabends kommen wir an und müssen noch auf Hotelsuche gehen. In der
Bahnhofshalle von Trivandrum kommen zwei ca. 16jährige Mädchen mit strahlenden
Gesichtern auf uns zu und hängen Jan und mir handgeflochtene Ketten aus
Jasminblüten um den Hals. Wir schauen uns an und wissen nicht so recht, in
welchem Film wir jetzt gelandet sind. Das Lächeln der beiden Mädchen lässt plötzlich
nach und es zeigt sich schnell, dass sie keine Botinnen des Himmels sind, denn
sie sagen alsbald was sie wollen: "You give us two Rupies for each,
okay?" Wie das "Geschäft" eingefädelt wurde ist zwar nicht so
ganz nach unserem Geschmack, trotzdem geben wir den beiden, was sie dafür
wollen. Mit dem Duft der Jasminblüten in der Nase laufen wir ins Zentrum von
Trivandrum und, nachdem jeder von uns sein Hotelzimmer bezogen hat, gehen wir
noch etwas spazieren. Die Nacht empfängt
uns mit vielen weiteren exotischen Blütengerüchen, es ist schwülwarm. Wir
essen noch eine Kleinigkeit in einem Restaurant. Am nächsten Tag beschließen
wir mit dem Bus zu dem nicht weit entfernt liegenden Kovalam Beach zu fahren.
Hier machen wir ein paar Tage lazy Strandurlaub, genießen den herrlichen
Palmenstrand und essen von den vorzüglichen tropischen Früchten, die hier überall
zu kaufen sind. Ich werde ein bißchen süchtig nach dem Geschmack frisch und
reif geernteter Mangos, Ananas, Kokosnüssen und Bananen. Doch nach ein paar
Tagen Strandleben erwacht wieder der Reisehunger in mir, auch wenn es hier noch
so paradiesisch ist. Zu viele Ziele in Indien locken noch vor meiner Heimreise.
Jan hat andere Reisepläne als ich und so trennen wir uns. Während meiner Zeit
in Indien habe ich immer wieder junge Menschen aus vielen Ländern der Welt
getroffen, die meisten kamen aus Europa, USA, Australien oder Neuseeland.
Manchmal waren wir für ein paar Stunden oder Tage, manchmal auch für ein oder
zwei Wochen gemeinsam unterwegs. Das zu Hause so gefürchtete Alleinsein in
diesem fremden Land habe ich glücklicherweise nicht erleben müssen. Vor meiner Abreise aus dem im
Vergleich zu anderen indischen Städten ruhigen, ja fast beschaulichen
Trivandrum, unternehme ich noch eine Tagesreise zum Kap Komorin (Cape Comorin),
der Südspitze Indiens. Am Kap Komorin – ein den Hindus heiliger Ort -
treffen sich Golf von Bengalen, Arabisches Meer und der Indische Ozean.
die Backwaters zwischen Quilon und Alleppey . Die Fahrt ist ein einziger Traum: unberührte Wälder, kleine Dörfer, Reisfelder, Bananen- und Kokosplantagen ziehen vorüber. Die Einheimischen sind auf den Backwaters häufig mit ihren langgezogenen Booten unterwegs, die Fortbewegung funktioniert mit Hilfe von langen Holzstäben, mit denen sie sich auf dem Kanalboden abstoßen. Das Wasser kann nicht allzu tief sein, denn diese Boote sind überall in den Backwaters anzutreffen. In der festen Hoffnung auf fliegende Händler hatte ich vor meiner Abreise kaum Lebensmittel eingekauft.
Zwischenstopp auf der Bootsfahrt Quilon-Alleppey
Das war ein Fehler, wie sich
bald herausstellte. Auf der ganzen Strecke gab es nur eine Einkaufsmöglichkeit,
die angebotenen Esswaren sahen allerdings nicht mehr so frisch aus. Trotzdem,
der Magen knurrte und ich musste etwas essen. Nach mehr als acht Stunden
Bootsfahrt war allerdings das WC in meinem Hotel in Alleppey der vorerst
bevorzugte Aufenthaltsort. Viele Globetrotter, die ich in Indien traf,
berichteten mir, dass sie auch des Öfteren mit kleineren oder größeren
Durchfallerkrankungen zu tun hatten. Vor allem in den ersten Wochen, bis sich
der "westliche Verdauungsapparat" an die hiesigen Verhältnisse angepasst
hätte. Am nächsten Morgen setze ich meine Fahrt in den Backwaters fort. Nach
ungefähr sechs Stunden erreiche ich Kottayam. Ein kleiner Ort mit einem guten
Restaurant. Der Tag ist gerettet. Am nächsten Tag geht es
weiter in die Städte Ernakulum und Cochin. Diese beiden Städte liegen dicht
beianander, Ernakulum
befindet sich jedoch auf dem Festland, Cochin dagegen erstreckt sich über
mehrere Inseln wie Willingdon Island, Fort Cochin/Mattancherry, Bolghatty,
Vypeen und Gundu. Zwischen den Inseln existieren gute Fährverbindungen. Eine
direkte Straßenverbindung vom Festland her gibt es nur zu den beiden
Hauptinseln Willingdon Island sowie Fort Cochin/Mattancherry. Eine wirkliche
Besonderheit sind die hiesigen Aufführungen der Kathakali-Tänze. Diese Tempeltänze,
die sich auf die Heldenepen Ramayana und Mahabharata beziehen, dauerten bei
traditionellen Festlichkeiten ursprünglich die ganze Nacht hindurch. In der
heutigen Zeit dauern die farbenfrohen und mimikreichen Tanzaufführungen für
Interessierte an dieser Tradition ca. 1 ½ bis 2 Stunden. Vor
dem Beginn der Vorstellung ist es möglich, die Tänzer bei der komplizierten
Schmink- und Ankleideprozedur zu beobachten. Eine gute Gelegenheit, die Künstler
aus nächster Nähe zu erleben. Zwei Stunden vor Beginn der Vorstellung finde
ich mich dort ein, die Kathakali-Tänzer wirken sehr gelassen und in sich
ruhend; es ist beeindruckend, ihre Vorbereitungen für die nächste Darbietung
mitanzusehen. Die Inhalte der anschließenden Aufführung sind für
Nichteingeweihte nur sehr schwer zu verstehen und bedürfen der Erklärung durch
Einheimische. Abgesehen von dieser Problematik sind diese Tänze jedoch eine
prachtvolle Demonstration hinduistischer Traditionen. Mein nächstes Reiseziel ist
das Periyar-Tierschutzgebiet (Periyar Wildlife Sanctuary). Hier sollen noch
Elefanten, Bisons, Leoparden und sogar einige Tiger in freier Wildbahn leben.
Ich habe Glück und bekomme dort in einem Hotel noch eines der wenigen freien
Zimmer. Nachmittags mache ich erste vorsichtige Erkundungen, ich entferne mich
jedoch nicht zu weit von meiner Unterkunft. Am Abend zwingen mich die
gnadenlosen Attacken der einheimischen Fluginsekten früh unter das Moskitonetz.
In meinem Zimmer gibt es keinen Ventilator, den ich anstellen könnte, um die lästigen
Moskitos zu vertreiben; so hatte ich mir in Südindien schon des Öfteren helfen
können. Wind mögen diese kleinen Plagegeister nicht so sehr und so ist man
weitestgehend geschützt, was allerdings auch heißt, das Geräusch des
laufenden Ventilators die ganze Nacht hindurch ertragen zu müssen. Das ist gewöhnungsbedürftig
und wenn man dann irgendwann genervt abschaltet, bekommen sie wieder ihre
Chance. Das erste Mal beschleicht mich heftig die Angst vor den unangenehmen
Folgen einer Malariaerkrankung, denn auch die Malariatabletten, mit deren
Einnahme ich schon vor meiner Abreise begonnen hatte, bieten laut Auskunft eines
Tropeninstituts in Deutschland keinen hundertprozentigen Schutz. Es gibt immer
wieder Fälle trotz Malariaprophylaxe, wird mir mitgeteilt. In der Nacht beginnt das
Konzert der Tiere und ich kann nur sagen, dass ich derartiges nur Bei der geführten Wanderung
lerne ich den Kanadier Mike und die Amerikanerin Rachel kennen. Jan aus den
Niederlanden habe ich hier auch wieder getroffen, was mich sehr gefreut hat. Wir
unternehmen zu viert einen kleineren Spaziergang, wollen uns aber nicht zu weit
vom Hotel entfernen. Die Parkwächter warnen uns davor, etliche Touristen hätten
sich hier auch schon verlaufen. Wir entdecken die Exkremente von Elefanten, den
freundlichen Riesen begegnen wir jedoch nicht. Auf einem kleinen Fußpfad quillt
plötzlich Blut aus den Schuhen von Jan, wir sind entsetzt. Nach dem Öffnen der
Schuhe sehen wir, dass sich mehrere Blutegel zwischen seinen Zehen festgesaugt
hatten, durch den Druck des Körpergewichts auf die Füße, wurde – so
vermuten wir – bereits "gesaugtes Blut" wieder herausgepresst. Die
Strümpfe und der ganze Innenschuh sind voller Blut, es sieht fürchterlich aus.
Mike hat schon Tropenerfahrung und fragt, ob jemand Zigaretten dabei hätte. Die
Amerikanerin bejaht. Hektisch entzünden wir eine davon und halten den
brennenden Teil an das andere Ende eines Blutegels. Nach einigen Minuten
Wartezeit lassen sich die so behandelten Blutegel aus der Haut herausziehen. Jan
ist schockiert, aber er ist nicht lange allein damit. Mike hat festes Schuhwerk
an, Rachel und ich tragen leichte Turnschuhe. Nach dem Öffnen unserer Schuhe
– es ist zwar nicht ganz so schlimm wie bei Jan – bietet sich uns ein ähnliches
Bild. Auch zwischen unseren Zehen haben sich Blutegel festgesaugt, die Strümpfe
sind an mehreren Stellen blutdurchtränkt. Ein bißchen Panik befällt uns jetzt
schon, mehrere Zigaretten werden entzündet, die zuvor beschriebene Prozedur
wiederholt. Rätselhaft ist, wie diese Blutsauger unbemerkt in das Schuhinnere
gelangen konnten. Wir nehmen an, dass sie das dünne Obermaterial unserer Schuhe
irgendwie durchbohren konnten. Kurze Zeit später flüchten wir von diesem Ort,
doch in der ganzen Aufregung gehen wir in die falsche Richtung – es sieht auch
alles so gleich aus - erst nach einer Stunde finden wir den Weg zurück zu
unserem Hotel. Vom Periyar Wildlife Sanctuary
geht es weiter nach Ootacamund, einem der bekanntesten Nach der Ankunft in Ooty, wie
es auch genannt wird, habe ich Schwierigkeiten ein Hotel zu finden. Viele der
anwesenden Gäste sind vor der Hitze des indischen Tieflandes für zwei oder
drei Von Ootacamund aus geht es mit
dem Bus nach Mysore. Auf der mehrstündigen Fahrt hält der Busfahrer immer mal
wieder für zwei oder drei Minuten an, um an speziellen, von Hindus verehrten Plätzen,
Opfer darzubringen. Das können mal eine halbe Kokosnuss, Blütenblätter Der Hinduismus ist eine sehr
alte Religion, die ersten Anfänge liegen zwischen 1000 und 200 Nun zurück zu meinen
Reisebeschreibungen. Ankunft in Mysore am späten Nachmittag. Die großzügig
angelegten Straßen, Plätze und Alleen verleihen der Stadt ein majestätisches
Aussehen, prunkvoller Mittelpunkt ist der berühmte Maharadscha-Palast, der von Krishnaraja
Wodeyar IV. (1981 verstorben) in ein Museum und kulturelles Zentrum verwandelt
wurde. Ich besichtige eine Seifenfabrik, die sich auf die Herstellung von Seifen
mit der Duftnote "Sandelholz" (Sandalwood) spezialisiert hat. Die
verwendeten Maschinen wirken sehr altertümlich, doch - wie man mir versichert
– funktionieren sie einwandfrei, notwendige Reparaturen könnten alle selbst
ausgeführt werden. Ich kaufe noch ein paar Sandelwoodsoaps und gehe wieder zurück
in mein Hotel. "Nutzholz des im indomalaiischen Gebiet
heimischen und kultivierten Sandelbaums (Santalum album); das weiße Splintholz
wird für Schnitzereien, das gelbliche Kernholz für Räucherwerk, das aus ihm
gewonnene Sandelholzöl In zahlreichen
Geschäften von Mysore werden Sandelholzschnitzereien angeboten, die kunstfertig
in Handarbeit hergestellten Götterfiguren, kleinen Kästchen für allerlei
Aufbewahrungszwecke, Brieföffner, Fächer und vieles andere mehr, sind schöne
Souvenirs und ein Markenzeichen Indiens. Ich kaufe eine geschnitzte Figur des Gottes Shiva und eine von Ganesh, dem Gott mit dem Elefantenkopf. Der Geruch
des Sandelholzes weckt in mir heute noch viele Erinnerungen an meine
Indienreisen und ist für mich persönlich untrennbar mit diesem Land verbunden. "Shiva (Sanskrit: "der Gütige, der Freundliche"), die dritte Gottheit in der Hindu-Trinität, in der er der Gott der Auflösung und Zerstörung ist. Shiva wird als Guru aller Gurus angebetet, als Zerstörer aller Weltlichkeit, der Weisheit gewährt (Zerstörer des Nicht-Wissens - Avidya/Nicht-Erkenntnis) und die Verkörperung von Entsagung und Mitleid ist."
Ganesh, Ganesha oder Ganapati (Sandelholzschnitzerei aus Mysore)
"Ganesh (auch Ganesha oder Ganapati, Sanskrit: "Herr der Schar"), im hinduistischen Pantheon der populärste Gott, Sohn Shivas und der Parvati, dargestellt als kleinwüchsiger, dickbäuchiger Mensch mit Elefantenkopf. Ganesh verkörpert Glück, Erfolg, Reichtum und Klugheit, als Überwinder aller Hindernisse wird er vor jeder bedeutenden Unternehmung angerufen." Wie kam Ganesh zu seinem Elefantenkopf? Dazu erzählte mir ein Inder folgendes: "Ganesh
Nächste Station
ist Bangalore, die Hauptstadt des Unionsstaates Karnataka. Bangalore ist die
sauberste und modernste Stadt auf meiner Reise durch Indien, hat ausgedehnte
Parkanlagen und ein angenehmes Klima. Nach ein paar Tagen des Ausruhens geht es
dann weiter nach Hospet in nordwestlicher Richtung zur Besichtigung der Ruinen
von Hampi, der ehemaligen Hauptstadt des Vijayanagar-Reiches. Die über ein großes
Areal verteilten steinernen Zeugen dieses mächtigen Königreiches (1336-1565)
halten noch eine Besonderheit für mich bereit, und zwar den Vittala-Tempel mit seinen "musikalischen Säulen".
Ein junger Inder schlägt mit einem runden Holz auf die einzelnen Steinsäulen,
jede gibt einen anderen Ton ab. Während der Mittagszeit ist die Hitze groß,
ich habe nur ein wenig Wasser und Erdnüsse dabei. Mit etwas Glück finde ich in
der ausgedehnten Ruinenstadt ein kleines Geschäft, welches allerdings nur
Bonbons, süße Getränke und Bananen zum Verkauf bereithält. Mit einem
glibbersüßen Saft und einer Staude mit ca. 20 kleinen Bananen setze ich mich
auf eine Bank in der Nähe unter eine Baumgruppe. Nach ein paar Minuten stehe
ich auf, um etwas umherzugehen, plötzlich kommt ein kleiner Affe im Eiltempo
den Baum neben meiner Sitzbank herunter, grabscht sich meine Bananen und
verschwindet ebenso schnell wieder in den Baumwipfeln. Ich klatsche mehrere Male
kräftig in die Hände, in der Hoffnung, dass der kleine Dieb seine Beute wieder
fallen lässt, aber es hilft nicht. In den Baumkronen sehe ich, wie sich eine
Horde Affen - aufgeregte Laute ausstoßend - davonmacht. "You should
take care of your bananas", gibt mir der grinsende Shopkeeper noch als
gutgemeinte Belehrung mit auf den Weg. Mein nächstes
Reiseziel ist Goa. Ich bin wieder einmal mit dem Bus unterwegs, der Busfahrer Nachmittags
Ankunft in Panaji in Goa. An den wunderschönen Palmenstränden relaxe ich die nächsten
zwei Wochen. Ich schwimme viel, ernähre mich von Fischgerichten und tropischen
Früchten. Hier treffe ich zahlreiche junge Menschen aus Europa und den USA. Goa
ist eines der Traumziele der am Anfang meines Textes beschriebenen Reisewelle
Richtung Osten. Viele haben sich hier seit Monaten oder gar seit Jahren in
billigen Zimmern eingemietet, rauchen täglich ein paar Joints und leben ziellos
in den Tag hinein. Einige andere pendeln schon seit Jahren zwischen Nordindien,
Nepal und Goa hin und her, verbringen den heißen Sommer in den Bergen und den
indischen Winter mit seinen angenehmen Temperaturen am Meer. Sie leben von ihren
Ersparnissen oder von dem, was die besorgten Eltern ihnen monatlich überweisen,
um ihren Sprösslingen, auf die sie jeden Einfluss verloren zu haben scheinen,
wenigstens den Kauf der Güter des täglichen Bedarfs zu ermöglichen. Wieder
andere kennen die ökonomischen Verhältnisse sehr genau und halten sich mit
kleineren Geschäften über Wasser, reisen unter Umständen bis nach Pakistan
oder Nepal und kaufen dort Waren, die in Indien Mangelware sind und verkaufen
sie dann hier oder praktizieren das Ganze in umgekehrter Richtung. Zur
Finanzierung ihres Aufenthaltes in Indien schrecken einige aber auch nicht davor
zurück, junge Touristen aus westlichen Ländern um ihre Geldbörsen oder
Kameras zu erleichtern. Letztes Ziel
meiner Reise ist Bombay, die Metropole an der Westküste. Dort angekommen fahre ich direkt weiter in den Vorort Andheri-East zu Pater Proksch, der dort
einen Ashram leitet. Pater Proksch ist ein Missionar der "Gesellschaft des
Göttlichen Wortes" (Societas Verbi Divini, abgekürzt: SVD), einer 1875 in
dem kleinen holländischen Ort Steyl bei Venlo gegründeten katholischen
Missionsgesellschaft (Steyler Missionare). In diesem christlichen
Ashram leben ca. 30 junge Männer und Frauen, die Musikinstrumente
erlernen (z. B.: Sitar, ein indisches Saiteninstrument oder Tabla, eine indische
Trommel arabischer Herkunft), oder sie beschäftigen sich mit christlicher
Literatur etc.; außerdem sind ganz lebenspraktische Dinge zu erledigen, wie das
Kochen für die Ashrammitglieder oder die Pflege des hauseigenen Gartens. Ein
Schwerpunkt der Arbeit dieser Gemeinschaft ist jedoch das Einstudieren der
Darstellung biblischer Themen durch verschiedene Formen indischen
Ausdruckstanzes und indischer Musik. Mit dem umfangreichen Repertoire der
einstudierten Tänze geht Pater
Proksch zusammen mit seinen Tänzer/innen auf Tournee durch viele Länder, bei
einer seiner Stationen in Speyer habe ich ihn kennengelernt. Ich genieße
meinen ersten Aufenthalt in einem Ashram und begleite Pater Proksch zu einigen
Gottesdiensten in den umliegenden Gemeinden. Das Leben in dieser Gemeinschaft
ist auf einem hohen geistigen und sozialen Niveau, die hier lebenden jungen
Menschen wirken auf mich offen, tolerant, kosmopolitisch. In jedem Ashram gibt
es Regeln, an die sich die Mitglieder halten müssen. Hier in Andheri war das für
mich jedoch nicht so sehr wahrzunehmen, ich habe auch nicht intensiv
nachgefragt, an die Besonderheiten beim Einnehmen der Mahlzeiten kann ich mich
jedoch noch sehr gut erinnern. Als Gast durfte ich neben dem Pater sitzen, was
schon eine besondere Ehre war. Nach dem Sprechen eines Gebetes fing Pater
Proksch als erster an zu essen, erst dann begannen die anderen mit dem Essen.
Gesprochen wurde bei den Mahlzeiten nicht, außer für wichtige Mitteilungen.
Alle konzentrierten sich auf diese entspannende, ja, fast meditative Form der
Nahrungsaufnahme. Nach einer Woche
verlasse ich diesen Platz der Ruhe und wohne ab sofort in einem Mehrbettzimmer
der YMCA (Young Men’s Christian Association) in der City von Bombay. Frühstück,
Mittagessen und Abendbrot waren lecker zubereitet, ich brauchte mich ein paar
Tage nicht um die Organisation meiner täglichen Ernährung zu kümmern. Bombay, die
Hauptstadt des Unionsstaates Maharashtra ist eine riesige Stadt, die offiziell
Mumbai genannt wird, welches der Name einer Göttin ist, die die
Ureinwohner der Gegend, die Kolis, verehrten. International werden heute die
beiden Bezeichnungen "Bombay" und "Mumbai" verwendet.
Auf der einen Seite gibt es das moderne Zentrum mit seinen vielen Geschäften
und Banken, auf der andere Seite riesige Slumgebiete, die ständig wachsen. Die
Armut in den ländlichen Gebieten ist oft sehr groß und die verzweifelten
Familien hoffen, ihre Existenz in großen Städten sichern zu können.
Dieses Phänomen ist ja auch aus anderen Ländern bekannt, die ebenfalls mit ökonomischen
und sozialen Problemen der Landbevölkerung zu kämpfen haben. Bombay ist eine
wichtige Hafenstadt und Sitz eines katholischen Erzbischofs. Es gibt zahlreiche
Hochschulen und Museen, außerdem ist sie das Zentrum der indischen
Baumwollindustrie. Maschinen- und Fahrzeugbau, Nahrungsmittel- und Konsumgüterindustrie
und vieles andere An einem
Nachmittag fahre ich zu diesem Bestattungsplatz, der Zutritt wird jedoch allen
verwehrt, die nicht zu dieser Volksgruppe gehören. In der Umgebung dieser Türme
sehe ich zahlreiche Geier auf Häusern und Mauern sitzen, ein etwas unangenehmes
Gefühl ergreift mich bei dem Gedanken an diese Bestattungsform. Einmal mehr bin
ich irritiert, wie sehr die religiösen Anschauungen und Rituale der Menschen in
unserer Welt divergieren. Die Parsen sind im allgemeinen sehr gebildet und
nehmen führende Stellungen im öffentlichen und geschäftlichen Leben ein. Ihre
Zahl ist insgesamt rückläufig, da sie nur untereinander heiraten dürfen.
Kinder aus Mischehen werden nicht als Parsen anerkannt. Meine Zeit in Indien neigt
sich nun dem Ende entgegen. In den letzten beiden Tagen besuche ich häufig das
"Gateway von India", den alten Anlegeplatz der Passagierschiffe aus
Europa. Der 26 m hohe Torbogen, erbaut im Gujarat-Stil, wurde an Weihnachten
1924 vom damaligen Vizekönig Indiens, Earl Reading, zum Gedenken des Besuchs
von König George und Königin Mary im Jahre 1911 eingeweiht. Am Gateway von
India treffe ich Menschen aus der ganzen Welt. Hier werden Kontakte geknüpft
und Informationen über das Reisen durch Indien ausgetauscht. Direkt am Meer
befindet sich dieser majestätische Torbogen, ein guter Platz und würdevoller
Ort, um von Indien Abschied zu nehmen. An meinem letzten Abend in
Indien stehe ich dort und bin traurig. Meine Zeit hier ist vorbei, mein Geld
fast aufgebraucht. Die zwei zurückliegenden Monate haben mir viel abverlangt,
doch ich habe Am 01. Juni 1976 nachmittags besteige ich eine Boeing der Egypt Air. Wir fliegen zunächst nach Kairo, wo ich als Transferpassagier bis zum nächsten Vormittag auf meinen Weiterflug warte. Nach einem weiteren Stopp in Rom landet meine Maschine am 02.06.76 kurz nach Mittag auf dem Frankfurter Flughafen.
Nachbetrachtungen Nach meiner Rückkehr musste
ich mich erst einmal wieder an die sozialen und kulturellen Verhältnisse in
Deutschland gewöhnen. Das ist mir sehr schwer gefallen und dauerte einige
Monate. Meine motorischen und vokalen Tics waren durch die physischen und
psychischen Anstrengungen während meines Indienaufenthaltes schlimmer geworden
und es vergingen mehrere Wochen, bis meine Tourette-Symptomatik sich wieder auf
das vorherige Niveau zurückgebildet hatte. Das größte Problem in Indien
für mich waren die mit Menschen überfüllten Straßen, Plätze, Busse, Züge,
Geschäfte und Restaurants. Es gab – außer in meinem Hotelzimmer – keinen
Platz, wohin ich mich hätte zurückziehen können. Die Möglichkeit des Rückzugs
ist und war für mich aber schon immer extrem wichtig, um motorisch und vokal
zur Ruhe kommen zu können.
Speyer, im Februar 2002 (überarbeitet im Jahr 2007)
Q u e l l e n : Goldmann
Lexikon - Bertelsmann Lexikographisches Institut, Taschenbuchausgabe 1998 Kurt
Friedrichs - Das Lexikon des Hinduismus - Taschenbuchausgabe 1996
Für die bescheidene Qualität der Fotos bitte ich um Ihr Verständnis. Ich hatte nur eine einfache Kamera dabei, was ich im nachhinein sehr bedaure. Der Belichtungsmesser funktionierte in der extremen Sonneneinstrahlung des indischen Sommers nicht richtig, viele Aufnahmen waren überbelichtet und nicht zu gebrauchen. Ich habe mich trotzdem für eine Veröffentlichung eines Teils der Aufnahmen entschieden, denn ... was wäre ein Reisebericht ohne Fotos!
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